• Frage: Gibt es einen wissenschaftlichen "spirit" und warum fällt es der Wissenschaft (vermeintlich) oft so schwer einen Draht zu den Menschen aufzubauen, bzw. ihre Ergebnisse und Ansätze für jedermann begreifbar/verständlich zu machen? Glauben Sie das dieser Bezug zur Öffentlichkeit ein wichtiger Baustein moderner Gesellschaften ist und leider immer noch zu wenig umgesetzt wird? (Stichwort Wissenschaftskommunikation)

    Frage gestellt TimS am 17 Nov 2020.
    • Foto: Robert Möckel

      Robert Möckel Beantwortet am 17 Nov 2020:


      Hallo Tim,
      das sind absolut die richtigen Fragen!
      Ich kann Dir leider nicht alle beantworten. Ich persönlich versuche das – mit Aktionen wie diesen hier – besser zu machen und zu erklären was wir warum tun. Ich bin auch der Meinung, weil wir Steuergelder benutzen, sollte man dringend etwas wieder zurückgeben und nicht nur für die Akademiker forschen. Ich finde es extrem wichtig die Zusammenhänge zu erklären und darauf hinzuweisen dass eben nicht alles schwarz/weiß ist – gerade heutzutage!
      Auf der anderen Seite ist es für uns manchmal schwer, unsere hochspezialisierten und verrückten Themen in verständliche Worte zu fassen und auch die Zeit zu finden. Leider. Aber wir am Institut zum Beispiel haben erst neulich eine Stelle für Öffentlichkeitsarbeit besetzt, mit ihr sollte auch ich häufiger reden 🙂
      Vielleicht wird sich auch etwas ändern, wenn die nächsten Generationen Wissenschaftler (also ihr!) dran sind…
      Eigentlich ist das Schade und kein gutes Zeugnis für uns, wenn Du/Ihr das so seht! Stellt den Leuten ruhig eure Fragen, ich glaube kaum, dass man Euch die Türen zuschlägt!

      Schöne Grüße,
      Robert

    • Foto: Frank Scholwin

      Frank Scholwin Beantwortet am 17 Nov 2020:


      Super Frage, vielen vielen Dank!
      den wissenschaftlichen spirit gibts, auf jeden Fall. Ich habe einige Leute getroffen, die von Fragen“getrieben“ sind, die dann aber leider so tief eintauchen, das sie das Leben rundherum vergessen und auch völlig vergessen, dass es außer wissenschaftlichen Publikationen in Zeitschriften, die kein „normaler Mensch“ liest noch ein potenzielles Publikum gibt, das gern was über die Forschung wissen möchte.

      Und genau das müsste Wissenschaftlern ganz anders nahe gebracht werden – Es braucht viele (einfache) Fragen an Wissenschaftler, damit sie einmal darüber nachdenken, warum sie ihre Forschung eigentlich machen und ob sie überhaupt einen Mehrwert für unsere Gesellschaft hat – und wenn es diesen nicht haben sollte oder sie selbst diesen nicht formulieren können stellt sich die Frage, ob die Forschungsmittel für diese Forschung gut angelegt sind.

      Damit würde ich Wissenschaftlern raten, dass sie in der Lage sein sollten, ihre Ergebnisse nicht nur der Fachwelt zu präsentieren (das ist eine klare Anforderung z.B. in einer Dissertation) sondern auch für jedermann. Und neben den Fachartiken sollte jeder Wissenschaftler auch daran gemessen werden, ob er es mit seinem Forschungsthema einmal pro Jahr in die normale Presse, Rundfunk oder Fernsehen geschafft hat. Ich finde das ultrawichtig! Dann findet mehr Forschung mit Bezug zum Menschen und der Gesellschaft statt und nicht zum Selbstzweck!

    • Foto: Guido Ritter

      Guido Ritter Beantwortet am 18 Nov 2020:


      Lieber Tim,
      ja, es gibt einen „Spirit“ zur Wissenschaft. Dieser Spaß am Forschen UND am Lehren muss aus jedem selbst herauskommen und darf nicht an äusseren Dingen hängen.
      Ein wirklich guter Wissenschaftler muss aus meiner Sicht bei der Komplexität der Herausforderungen unser Gesellschaft interdisziplinär denken und seine Themen auch in die Gesellschaft transportieren können (Story Telling).
      Herausragend in Deutschland sind hier z.B. Harald Lesch, Mailab, Ranga Yogeshwar. Ich gebe Dir recht, davon brauchen wir mehr!
      In Deutschland werden Wissenschaftler im Studium leider nicht in der Wissenschaftskommunikation geschult. In England/Amerika ist das üblich.
      Viele Grüße aus Müsnter
      Guido

    • Foto: Judith Bopp

      Judith Bopp Beantwortet am 18 Nov 2020:


      Hallo TimS,

      richtig, die Frage stellen wir uns in meinem Arbeitsumfeld auch oft. Ich denke, dass Wissenschaftler*innen eigentlich ein Verantwortungsgefühl haben sollten. In Forschung fließt (teilweise) viel Geld, und dafür stelle ich meine Ergebnisse für einen größtmöglichen gesellschaftlichen Nutzen bereit. Meine Erfahrungen sind, dass erstens der Austausch innerhalb der Wissenschaft und zwischen wissenschaftlichen Disziplinen nicht so fließt und Ergebnisse oft zurückgehalten werden (man fürchtet z.B. Konkurrenz), dass es zweitens oft einfach lange braucht, bis Ergebnisse offengelegt und kommuniziert werden können, und dass drittens Wissenschaftskommunikation vielleicht nicht genügend Zeit eingeräumt wird, weil ein Projekt ausläuft, und man die Kommunikation dann zusätzlich in seiner Freizeit betreibt. Das ist aber auch meiner Erfahrung teilweise ein Problem der deutschen Wissenschaft. Andere Länder gehen viel offensiver an die Kommunikation nach außen heran, und haben dann oft auch mehr (personelle) Mittel dafür. Ich hoffe also nicht, dass der wissenschaftliche Spirit grundsätzlich ist, dass man sich isoliert. 😉 Tatsächlich habe ich aber auch schon viele getroffen, denen das alles egal war. Das fand ich schockierend.
      Grüße,
      Judith

    • Foto: Wolfgang Ertel

      Wolfgang Ertel Beantwortet am 18 Nov 2020:


      Unser Dilemma in der Wissenschaft ist es, dass wir begeistert sind von dem was wir erforschen. Zum Beispiel ist es für mich total faszinierend zu lernen wie ein menschliches Gehirn funktioniert und noch viel spannender ist es, dann im Computer oder Roboter das nachzubauen oder noch besser zu machen. Bei dieser faszinierenden Arbeit vergessen wir Wissenschaftler oft, dass man mit dem was wir erforschen oder erfinden eventuell ganz schlimme Dinge anstellen kann, oft auch ganz unbewusst.

      Deshalb ist es immens wichtig dass wir Wissenschaftler unsere Verantwortung ernst nehmen und nicht nur unter uns diskutieren, sondern die ganz normalen Menschen informieren über die kritischen und gefährlichen Aspekte neuer Technologien etc.

      Zum Beispiel untersuche ich den Reboundeffekt von Servicerobotern: https://imascientist.de/wp-content/uploads/2020/10/ecg-reb-eff-engl.pdf

      Auch unterstützen wir „Scientists for Future“ die Fridays for Future Schüler mit wisschschafltichen Argumenten und Fakten:

      Scientists for Future

    • Foto: Sarah Strauß

      Sarah Strauß Beantwortet am 18 Nov 2020: last edited 18 Nov 2020 10:53 am


      Lieber Tim,

      sicherlich gibt es Menschen, die vollkommen in der Blase ihrer wissenschaftlichen Welt leben und in der Realität kaum zurecht kommen (würde ich als weltfremd bezeichnen). Die sind aber glaube ich eher selten anzutreffen, gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs ist das nicht mehr so.

      Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit bzw. die Aufbereitung von Forschungsergebnissen in einer Form, dass sie auch für Laien verständlich sind, fällt vielen Wissenschaftler*innen schwer. Das kann verschiedene Gründe haben, die anderen haben das schon gut erklärt.Wenn man/frau die meiste Zeit verbringt, die ebenfalls vom Fach sind, passiert das automatisch, dass man/frau nicht mehr über Form der Kommunikation nachdenkt und dann immer so redet. Leider ist das vielen nicht bewußt oder auch nicht wichtig. Da ist noch zu wenig Verständnis vorhanden wieso es auch wichtig ist, dass die Gesellschaft die Forschung und ihre Ergebnisse versteht.

      Ich persönlich sehe mich davor ganz gut geschützt, da keiner meiner Freunde und Bekannten vom Fach ist, viele aber wissen wollen was ich mache auf der Arbeit. Auch meine fünf Neffen und Nichten wollen viel wissen. Außerdem kommen regelmäßig Schüler*innen zu uns ins Labor bzw. ich gehe an Schulen in den Unterricht (auch an Grundschulen). Dadurch habe ich gelernt, die Menschen dort abzuholen wo sie vom Wissen her sind und auch meine Sprache so anzupassen, dass ich verstanden werde.

      Wissenschaft sollte kein Geheimnis sein, es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit weiß wofür jedes Jahr so viele Steuergelder ausgegeben werden und warum das so wichtig ist. Außerdem werden mit gut verständlicher Kommunikation Ängste und Vorbehalte gegen die Forschung bzw. den Fortschritt abgebaut bzw. kann auch den „fake news“ vorgebeugt werden.

      Viele Grüße
      Sarah

    • Foto: Matthias Reich

      Matthias Reich Beantwortet am 20 Nov 2020:


      Hallo Tim,
      ja, ich finde es absolut wichtig, dass man Wissenschaft für Jedermann verständlich darstellt. Einstein soll mal gesagt haben, dass man alles, was man nicht einfach erklären kann, wohl selbst noch nicht richtig verstanden hat. Damit hat er sicher Recht gehabt.
      Wir haben einen youtube Kanal eingerichtet, auf dem wir versuchen, wissenschaftliche Dinge in kurzen und leicht verständlichen Sendungen zu erklären. Vielleicht magst du da ja mal reihschauen:
      https://www.youtube.com/channel/UCKeYr1oHWGzeAnmA6s7Bnwg/videos
      Wir freuen uns über jede Rückmeldung dazu. 🙂

    • Foto: Katrin Beer

      Katrin Beer Beantwortet am 20 Nov 2020:


      Hallo Tim!

      Das sind ja gleich drei Fragen auf einmal 🙂

      Ich würde sagen, der Wissenschaftliche Spirit ist (oder sollte sein, meiner Meinung nach), dass man die Dinge nicht so hinnimmt, sondern alles ständig hinterfragt. Was Wissenschaft für mich ausmacht, ist daher vor allem die Erkenntnis, dass man ganz schön viele Dinge nicht weiß. Kennst du den Spruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“?
      Gute Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass nicht einfach Behauptungen aufgestellt und als Wahrheit verkauft werden. Sondern man kuckt ganz genau und mit ausgefeilter Methodik, wie man etwas herausfinden und welche Fragen man beantworten kann. Alle Wahrheiten sind aber immer nur solange wahr, bis jemand zeigen kann, dass etwas doch anders ist. Dann gibt es eine neue Wahrheit, einen neuen aktuellen Wissensstand. Der wissenschaftliche Spirit liegt für mich in einer Offenheit für solche neue Erkenntnisse. Wie das so abläuft bekommt man in der Öffentlichkeit seit diesem Jahr über die Corona-Forschung ja ganz gut mit.

      Deine zweite Frage ist, warum es uns manchmal so schwer fällt, einen Draht zur Öffentlichkeit aufzubauen. In der Wissenschaft vertieft man sich sehr sehr sehr weit in einzelnen Bereichen und häuft da ganz viel Wissen an. Man lernt Fachbegriffe und Zusammenhänge kennen und versteht den Bereich dann immer besser. Aber das ist ein bisschen so, als würde man eine neue Sprache sprechen, mit neuen Wörtern und neuen Bedeutungen. Wenn man viel Zeit mit Menschen aus dem gleichen Fachbereich verbringt, merkt man irgendwann vielleicht gar nicht mehr, dass man schon eine ganz andere Sprache spricht als die Alltagssprache. Und man vergisst dann leicht, dass nicht jeder diese Sprache spricht. Für einen selbst ist es ganz normal, Fachwörter zu benutzen. Um diese Spezialsprache wieder für alle verständlich zu machen, muss man sie sozusagen wieder zurückübersetzen und die Begriffe verständlich erklären. Das ist ein zusätzlicher Schritt, da muss man nochmal Arbeit reinstecken.

      Und da kommen wir zum dritten Punkt: Welche Rolle spielt Wissenschaftskommunikation in unserer Gesellschaft? Das wurde hier von Judith ja auch schon angesprochen, dass die Wissenschaftskommunikation in Deutschland nicht so einen hohen Stellenwert hat. Als ich studiert habe und irgendwann auch überlegt habe, ob ich in der Wissenschaft arbeiten soll, habe ich viel mit Forscher:innen aus Deutschland und anderen Ländern gesprochen. Mir wurde dann erzählt, dass es in Deutschland tendenziell so ist, dass man sich in wissenschaftlichen Publikationen kompliziert ausdrücken muss, damit man schlau wirkt. Wenn man in Deutschland populärwissenschaftliche Veröffentlichungen macht, sei das eher schlecht fürs eigene Image. Das wurde mir schon mehrmals gesagt, dass es für den eigenen wissenschaftlichen Ruf schlecht sein kann, wenn man zum Beispiel für jeden verständliche Bücher schreibt oder viel in Fernsehshows auftritt. In den USA und anderen Ländern ist das aber anders. Und es ändert sich in Deutschland jetzt auch.

      Von dem her ein ganz klares Ja zu deiner letzten Frage! Ich finde, dass viel zu wenig Wissenschaftskommunikation betrieben wird und viel zu viel Wissen verschwindet in Fachpublikationen, die nur wenige Leute lesen und verstehen können, und in Schubladen. Es gibt inzwischen aber mehr Fördergelder für Wissenschaftskommunikation, also es ist schon eine Trendwende erkennbar. Bis jetzt ist Wissenschaftskommunikation meistens unbezahlte Zusatzarbeit, die man in der Freizeit macht. In Zukunft wird sie hoffentlich immer mehr zu einem festen Bestandteil in Forschungsprojekten.

      Liebe Grüße,

      Katrin

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